Veranstaltung: | 1. Ordentlicher Landesdelegiertenrat 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Anträge |
Status: | Beschluss |
Abstimmungsergebnis: | Ja: 31, Nein: 0, Enthaltungen: 1 |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenrat |
Beschlossen am: | 19.03.2022 |
Eingereicht: | 19.04.2022, 11:01 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft nicht über Bord werfen - Ernährung für alle Menschen sichern
Beschlusstext
Mit dem Krieg in der Ukraine ist unsägliches Leid für die Ukrainer*innen
verbunden. Zusätzlich verursacht der Krieg eine weltweit knapper werdende
Getreideversorgung, mit der Hungersnöte gerade bei den Ärmsten der Armen drohen,
die im hohen Maße von Getreideimporten aus der Ukraine und aus Russland abhängig
sind.
Für den Landesverband von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Versorgung mit
Lebensmitteln oberste Priorität. Die Ernährung muss für alle Menschen gesichert
werden. Dazu bedarf es kurz- und langfristiger Lösungen.
Die aktuellen Lebensmittellieferungen in die Ukraine, sei es durch
zivilgesellschaftliches Engagement, durch den Einsatz des
Lebensmitteleinzelhandels oder durch staatliche Organisationen, helfen den
Menschen und verdienen hohe Anerkennung.
Das World-Food-Programm muss finanziell aufgestockt werden, damit die hohen
Preise für Getreide gezahlt werden können.
Und nach einer seriösen Bestandsaufnahme muss die Weltgemeinschaft eine
solidarische und koordinierte Antwort darauf geben, wo das Getreide herkommen
soll, das jetzt nicht mehr zur Verfügung steht.
Als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beteiligen wir uns lösungsorientiert und stellen
unsere Überlegungen ohne Scheuklappen an – z.B. hinsichtlich der
Stilllegungsflächen.
Die jetzigen Warenströme und Exportstrategien gehören auf den Prüfstand und
müssen verändert werden, sodass es nicht mehr zu einseitigen Abhängigkeiten von
Lebens-, Futter- und Düngemitteln kommt und die Staaten durch eine regional
angepasste und nachhaltige Landwirtschaft ernährungssouveräner werden.
Wenn allein in Deutschland 70% des Getreides in den Trog von Tieren gehen, in
der EU 12% in den Tank und weltweit 30% der Lebensmittel verschwendet werden,
dann gibt es ein großes Veränderungspotenzial, um alle Menschen satt zu machen.
Die Stellschrauben: Umbau in der Tierhaltung mit weniger Tieren, Reduzierung von
Biosprit und Eindämmung der Lebensmittelverschwendung müssen gedreht werden, um
für alle Menschen ihr Recht auf Nahrung durchzusetzen.
In der aktuell sehr schwierigen Situation, in der es weiterhin die
Klimakatastrophe und das Artensterben mit ihren negativen Auswirkungen auf die
Ernten gibt, können Forderungen nach einer Intensivierung der Landwirtschaft
nicht die Lösung sein.
Die Widersprüchlichkeit dieser Position der Agrarlobby zeigt sich besonders gut
am Beispiel des mineralischen Stickstoffdüngers, der einen sehr hohen
Erdgasbedarf hat.
Der Landesdelegiertenrat (LDR) lehnt alle Bestrebungen ab, die ökologischen
Maßnahmen in der Landwirtschaft hinten an zu stellen. Wer Klimakatastrophe und
Artensterben nicht als Herausforderungen begreift und stattdessen von
Luxusdebatte spricht, hat nicht verstanden, dass alle Krisen mehr denn je gelöst
werden müssen.
Der LDR sieht in einer ressourcen- und klimaschonenden Landwirtschaft die
Lösung.
Agrarökologische Maßnahmen schaffen stabile Ökosyteme, die die Landwirtschaft
widerstandsfähiger und ertragsstärker machen.
Gute Bestäubungsleistungen, eine bessere Wasserverfügbarkeit, fruchtbare Böden
und eine Düngung mit Eiweißpflanzen schaffen die Voraussetzungen für eine
dauerhafte Landwirtschaft – auch in Sachsen-Anhalt.
Wir setzen auf die Leistungsfähigkeit der natürlichen Ressourcen.
Das sichert die Ernten von morgen für eine gesunde Ernährung.
Begründung:
Die gegenwärtige landwirtschaftliche Produktion in Deutschland ist nicht primär
auf die menschliche Ernährung ausgerichtet. Zwei Drittel des in Europa
produzierten Getreides landen in den Futtertrögen der industriellen Tierhaltung,
ein Fünftel des deutschen Ackerlandes dient der Produktion von Biogas und
Biosprit. Dazu kommen Produkte, die eher zu Ernährungsproblemen als zu gesunder
Ernährung führen, wie z.B. Zucker. Darüber hinaus führen nicht nur der
einseitige Fleischkonsum, sondern auch der einseitige Verzehr von
Weizenprodukten zu vielfältigen Gesundheitsproblemen. Eine vielfältige Ernährung
aus heimischer Produktion würde einen vielfältigen Anbau erfordern. Dies steht
im Gegensatz zum wirtschaftlichen Druck nach Vereinfachung und Spezialisierung.
Daher fokussiert eine einseitig gewinnorientierte Landwirtschaft auf wenige
Produkte, die von der Industrie in großen Mengen abgenommen werden, während die
Vielfalt der für eine gesunde Ernährung erforderlichen Produkte aus Ländern mit
anderer Agrarstruktur und billigeren Arbeitskräften importiert wird. Der
ökologische Landbau ist dagegen aufgrund seines größeren Anteils an Direkt-und
Regionalvermarktung und der höheren Preise bereits heute wesentlich stärker auf
die Erzeugung menschlicher Nahrung ausgerichtet.
Eiweißpflanzen (Leguminosen) gehen mit Bodenbakterien eine Symbiose ein, die es
ihnen ermöglicht, den Stichstoff aus der Luft in den organischen Kreislauf zu
bringen, also auch zugunsten nachfolgender Kulturpflanzen. Dabei ist die
Stickstofffixierung der Leguminosen durch den im Boden vorhandenen Stickstoff
gesteuert, sodass ein Überangebot durch Stickstofffixierung ausgeschlossen ist.
Mehrjährige Leguminosen wie Klee und Luzerne können nur über Wiederkäuer
(Rinder, Schafe, Ziege) nutzbar gemacht werden. Deren Mist ist eine weitere
wichtige regulierende Komponente im Stickstoffkreislauf des landwirtschaftlichen
Betriebs. Daher sind Leguminosenanbau und eine flächengebundene integrierte
Tierhaltung wichtige Säulen landwirtschaftlicher Betriebskreisläufe.
Mehrschichtige Produktion und Mischkulturen führen zu einer besseren Ausnutzung
der Ökosystemfaktoren. Insbesondere Bäume und Sträucher schützen vor Wind,
intensiver Sonneneinstrahlung und Austrocknung und verbessern so das Mikroklima.
Auch stellen sie Barrieren gegen die epidemische Ausbreitung von Krankheiten und
Schädlingen dar. Wenn auf mehreren Ebenen produziert wird, wie im Streuobstanbau
mit Weidehaltung, Gemüse- oder Ackerbau zwischen den Obstbaumreihen, wird die
Produktion insgesamt höher und vielfältiger. Die Agrosysteme werden diverser und
blütenreicher und fördern wichtige Ökosystemleistungen, wie etwa Bestäuber, die
ihrerseits wieder die Erträge verbessern.
Nahrungsmittelexporte und auch manchmal Nahrungsmittelhilfen setzen vielfältige
negative Entwicklungen in den damit bedachten Ländern in Gang. Die von uns hoch
subventionierten Exportprodukte ruinieren die Preise für die dortige
Landwirtschaft. Dies treibt die auf dem Land lebenden Menschen zur Aufgabe ihrer
landwirtschaftlichen Tätigkeit und zur Abwanderung in die Städte, wo sie dann
umso mehr von Nahrungsmittelhilfe abhängig sind. Insgesamt verschlechtert sich
die Ernährungssituation stetig. Unsere Entwicklungszusammenarbeit muss dafür
sorgen, dass solche Entwicklungen vermieden werden, und die Ernährung aus
eigener landwirtschaftlicher Erzeugung gesichert wird.